Zur Konfliktlösung genauso wie im Selbstcoaching ist das Betrachten und Einnehmen verschiedener Wahrnehmungspositionen oft der Schlüssel zum Erfolg. Eine alte indianische Redensart bringt es auf den Punkt: „Urteile nie über einen anderen, bevor Du nicht einen Mond lang in seinen Mokassins gelaufen bist!“ Erst wenn ich weiß und fühle, wie der andere eine Situation, seine und meine eigene Rolle darin wahrnimmt, kann ich Angebote zur Konfliktlösung machen. Dafür muss der andere nicht anwesend sein, was das Modell der Wahrnehmungspositionen zu einem hilfreichen Tool im Selbstcoaching macht.
Selbstcoaching, der Prozess
In einem klassischen Setting zur Konfliktlösung hat das Spielfeld des Modells drei Positionen, ich (A), der andere (B) sowie die dissoziierte Systemebene (Meta). Der Coachee legt die drei Positionen durch Bodenanker fest, durch Moderationskarten oder durch Stühle. Zuerst positioniert er sich selbst (A), intuitiv dort, wo er sein eigenes Kraftfeld spürt. Der Coachee tritt auf die Moderationskarte (setzt sich in den Stuhl etc.) und richtet sie nach der gewünschten Blickrichtung aus. Im zweiten Schritt sucht er eine Karte für den Konfliktpartner (B) aus und legt diese mit Blickrichtung auf A auf den Boden (Tritt auf die Karte). Die Karten können spontan gelegt werden oder eine reale Konfliktsituation nachstellen. Zuletzt sucht der Coachee eine dritte Moderationskarte für die neutrale Ebene (Meta) aus. Er platziert sie mit Sicht auf A und B, aber auch mit genügend Abstand zu beiden (je weiter weg, umso weniger emotional ist die Situation). Damit ist das Spielfeld gelegt, nun werden die Bodenanker mit Emotionen versehen.
Erneut tritt der Coachee auf seine eigene Karte (A) und nimmt die gelegte Blickrichtung ein. Der Coach führt ihn mit den drei Repräsentationssystemen VAK in die reale Konfliktsituation ein – der im Selbstcoaching Erfahrene erreicht diesen Zustand ohne Hinführung. A erlebt also intensiv nach, was er dort gesehen (visuell), gehört (auditiv) und gefühlt (kinästhetisch) hat. Fest in dieser Situation verankert – also assoziiert – stellt sich A drei Fragen:
- Welche Wirkung löse ich bei der anderen Person aus?
- Mit welchem Verhalten löse ich das aus?
- Was ist meine eigentliche Absicht?
Mit der individuellen Betrachtung von Wirkung, Verhalten und Absicht in Konfliktsituationen alleine öffnen sich Lösungswege. Denn mit dem Erkennen, was meine eigentliche Absicht ist, was ich aber wodurch stattdessen bewirke, finde ich Ansätze, mein Verhalten zu ändern.
Der Coachee tritt aus Position A heraus, nach einem Separator tritt er auf Position B, nimmt die gelegte Blickrichtung ein und assoziiert sich via VAK in der realen Konfliktsituation – ggf. verstärkt durch Einnehmen einer typischen Körperhaltung von B. Anschließend betrachtet er durch die Augen von B seinen Gegenüber A in der assoziierten Situation, fragt nach Wirkung, Verhalten und Absicht. Der Coachee erfährt so, wie B sich fühlt, wie B Person A sieht, welche Wirkung A auf B hat, was die Absicht von B sein könnte.
Ziel des Selbstcoachings
Ziel ist nicht, das Verhalten von B zu verändern, da B im Coaching nicht anwesend ist. Machbar ist aber, dass A sein Verhalten so verändert, dass die Absicht und die Gefühle von B gewürdigt werden und die Situation so konfliktfrei gelöst werden kann.
Was A konkret tun könnte, lernt der Coachee von sich selbst. Er tritt aus der Position B heraus und nimmt nach einem Separator die Metaposition ein. Er kennt nun Wirkung, Verhalten und Absicht von A und B, weiß um Gemeinsamkeiten und um das, was die beiden trennt. Aus dieser Position heraus erkennt er Möglichkeiten für A, die Situation zu „entschärfen“. Er kann dies durch Verändern der Position A visualisieren.
In einem nächsten Schritt assoziiert der Coachee sich erneut nacheinander auf den Positionen A und B und prüft im Future-Pace nach, ob die Veränderung hilfreich ist, eine künftige Konfliktsituation mit B vermieden werden kann. Wenn nicht, tritt er zurück in die Metaebene und überlegt neue Hinweise, die er wiederum auf A und B ausprobiert. In einem letzten Schritt, erneut auf der Metaposition, folgt der Öko-Check, die Frage des Coachees an sich selbst, ob die erarbeiteten Veränderungen in der Realität umsetzbar sind.
Das Modell der Wahrnehmungspositionen ist in Zusammenarbeit mit einem Coach oder auch im Selbstcoaching eine hervorragende Möglichkeit, Empathie und Verständnis für einen Konfliktpartner zu entwickeln – ebenso um Wege zu finden, Wirkung, Verhalten und Absicht miteinander in Einklang zu bringen. B muss dabei keine eine reale Person sein. Erfahrene
Coaches setzen auch innere Anteile oder eine störende Verhaltensweise eines Coachees, mit der dieser hadert, auf eine Wahrnehmungsposition. Auch hier sind die Fragen nach Wirkung, Verhalten und Absicht sehr hilfreich bei der Lösungssuche. Als eines der grundlegenden Modelle im (Selbst-)Coaching gehören die Wahrnehmungspositionen zu den unverzichtbaren Inhalten der Coaching-Ausbildung.